Mutter sein mit MS? Klar!

Schön, dass ihr da seid und wie schön, dass ich mich bei diesem Artikel vor allem selber voll und ganz auf’s Lesen konzentrieren konnte.
Vor einiger Zeit habe ich euch in meiner Instagram-Story abstimmen lassen welche Themen ihr euch hier als Gastbeiträge wünschen würdet. Ganz klar „gewonnen“ hat dabei das Thema Mama sein mit Multiple Sklerose.

Ich könnte nicht glücklicher darüber sein, dass zwei absolute Powerfrauen ihre Texte mit uns teilen und wünsche euch unfassbar viel Spaß beim Lesen und eine fette Gänsehaut.

Danke an Ulli und Michèle für den Mut eure Geschichten mit uns zu teilen.

Gastbeitrag von Ulli (mrs.g_official)

Hi! Ich heiße Ulli und am 22.01.2016 hat sich mein komplettes Leben verändert. 

An diesem Tag hatte ich meinen ersten Schub.

Nach langem Hin&Her und vielen Nächten auf der StrokeUnit konnte mir auch keiner sagen, was genau ich habe und wurde deshalb nach ein paar Tagen ohne genaue Diagnose (dafür aber mit ganz vielen „vielleicht Das, vielleicht Das“) wieder entlassen. Nach ein paar Wochen der Verdrängung und keinen zurückgebliebenen Schäden ging’s mir wieder gut und ich lebte mein Leben weiter wie davor. Jeden Tag unterwegs, die Wochenenden durchgefeiert und jeder Cent der da war, wurde auf den Kopf gehauen. Das ging einige Monate sehr gut – bis zu diesem einen Tag Mitte September 2017. 

Ich weiß es noch, als wäre es gestern gewesen. Ich habe Wäsche aufgehängt – plötzlich fiel mir das Handtuch aus der Hand und ich konnte es nicht mehr aufheben. Vor lauter Panik bin ich erstmal zu einer Freundin gefahren – Verdrängung und Kaffeetrinken gegen den Schock – ich wusste natürlich sofort was hier passiert. Spätabends wieder zuhause auf der Couch merkte ich, dass mein Bein kribbelt. Ich habe daraufhin eine Tasche gepackt und habe mich ins Krankenhaus fahren lassen. Hello again StrokeUnit. Ein paar Beruhigungsmittel und ich konnte erstmal schlafen – morgen ist es sicher wieder besser.

Guten Morgen Welt, bin wieder da. Was zum Teufel ist das? Ich kann meine Finger nicht bewegen, meinen Arm auch nicht. Meine Zehen spürte ich nicht, mein Bein konnte ich nicht hochheben und hinsetzen konnte ich mich auch nicht. Hey Halbseitenlähmung. Schock. Mein Leben ist an mir vorbeigezogen & mir kamen gleich tausend Dinge in den Kopf, die ich niemals mehr machen kann. Die Diagnose inkl. sämtlichen Tests begann noch am selben Tag. Selbstverständlich auch die CortisonTherapie. Gott wie ich dieses Teufelszeug hasse. 

Die ersten Tage waren die Hölle. Ich war zu stolz für einen Rolli und hab mich von Stange zu Stange zu den Untersuchungen gehangelt. Auch in der Dusche wollte ich keine Hilfe, was tatsächlich zu mehr als einem Sturz geführt hat. Ich dachte echt, jetzt ist das Leben vorbei.

Aber wisst ihr was mich gerettet hat?  Eine tolle Familie & die besten Freunde auf Erden. Ich hatte so viel Besuch, dass ich keine Zeit hatte negative Gedanken zu schüren. Eine Freundin hat sogar mein Zimmer mit Deko geschmückt.

Nach ein paar Tagen wurde ich mit der Diagnose Multiple Sklerose in die Reha entlassen. 

Der Kampf zurück war definitiv das Anstrengendste was ich erlebt habe. 

Einige Beschwerden/Einschränkungen konnte ich mit extrem viel Physiotherapie verbessern, wobei das Meiste jedoch geblieben ist.

Heute weiß ich auch wofür sich die harte Arbeit gelohnt hat (damals wusste ich es nicht).

2018 habe ich meinen Mann kennengelernt. Er war der Erste seit der Behinderung, der mich nicht wie eine Behinderte behandelt hat. Es gab kein „Du Arme, komm ich helfe dir“ und auch kein „nein das kannst du nicht machen, du bist doch krank“. Er hat mich immer behandelt, als wären wir zwei ganz normale, kerngesunde Menschen. Einen dummen Spruch von Ihm habe ich heute noch im Kopf – „Niemand ist perfekt!“ Ja ne ist klar, dachte ich. Aber er hatte Recht, auch wenns komisch klingt.

Ein Jahr später kam das größte Glück auf Erden auf die Welt. Unsere Tochter Nora. ❤️ 

Ich wollte immer Kinder, aber ich wollte es einfach perfekt haben. Gutes Alter, genug Geld haben, eine große Wohnung und vor allem fitte, gesunde Eltern. Um so geschockter war ich, als ich erfuhr, dass ich schwanger bin. Wie zum Teufel soll das denn funktionieren?! 

Wie soll es gehen, ein Kind großzuziehen, wenn’s schon am Wickeln scheitert? Mein Kopf war voll mit solchen Fragen, aber es stand definitiv sofort fest, dass wir das Kind bekommen werden. Die Schwangerschaft verlief gut, ich hatte eine tolle Hebamme an meiner Seite & wir hatten die Unterstützung von unseren Familien. Die MS war während der kompletten Schwangerschaft wie weggeblasen. Echt ein wahnsinnig gutes Gefühl! Allerdings hat sie sich während der Geburt so stark gemeldet, dass ich dachte, das wird mein Ende. Die ganze Halbseitenlähmung hat sich in eine Spastik verwandelt und mir das Schönste auf Erden zur Hölle gemacht. But u see – ich lebe noch. Nach ein paar Stunden war Sie da und es hat sich endlich richtig für mich angefühlt. Das Leben. 

All die Gedanken, die ich mir vorher wochenlang gemacht habe, waren weg. Denn in dem Moment zählen deine Probleme einfach nicht. Sie sind dir egal. An erster Stelle steht plötzlich nur noch Mini. Plötzlich hast du so viel mehr Energie und Kraft, weil es einfach nicht mehr um dich geht, sondern um das Wohlbefinden der Liebe deines Lebens. Und ja, es klappt fast alles! Man kann einem Kind ein schönes Leben bieten – trotz Behinderung! Es ist nicht einfach, ich geb’s zu. Ohne Unterstützung der Familie und der Freunde würden mir einfach die Pausen fehlen, die wir MSler nun leider doch ab und zu mal brauchen. Manchmal ist man einfach wahnsinnig erschöpft,…. aber wer ist das denn nicht?  

Vom Staat kann man sich leider nicht viel Hilfe erhoffen. Tatsächlich habe ich ein halbes Jahr eine Haushaltshilfe über die Krankenkasse bekommen. Grundsätzlich war’s das dann aber auch schon. Einen guten Pflegegrad zu bekommen ist heute nicht mehr so easy, denn ich z.B. bin nicht behindert genug. Klingt verrückt, aber ja – so ist es.

Die Leistungen der Pflegekassen könnten zum Beispiel auch in eine Kinderbetreuung investiert werden, womit sehr vielen kranken Mamas sehr geholfen wäre. 

Wir chronisch kranken Menschen sind aber nunmal eins sehr extrem – stark!

Wir legen unseren Fokus auf die richtigen Dinge und wissen auch, wann wir eine Pause machen sollen (meistens zumindest). 

Deshalb bin ich der Meinung, ganz egal wie stark eine Behinderung ist, das Kind wird dich trotzdem lieben, weil du es liebst. Und das ist doch das einzig Wichtige?

Ich konnte Nora als sie klein war aufgrund der Behinderung leider nie baden, was ich echt schade fand. Dafür sitzen wir aber heute zusammen im Plantschbecken oder im Sandkasten und ich genieße es so sehr, wie sie lacht und glücklich ist. Nora drückt mir regelmäßig Spielzeug in die gelähmte Hand und will das ich greife – auch eine Art von Physiotherapie!

Sie versteht schon so viel für Ihr Alter und das macht mich sehr stolz. Ich bin sogar stolz auf mich (wenn man das auch mal sagen darf), dass ich das so hinkriege mit Ihr und ich Ihr tatsächlich das geben kann, was sie braucht. Und ich weiß jetzt endlich, dass die Krankheit nicht Alles ist. Die Welt ist so wunderschön, egal ob man richtig laufen kann oder nicht, 

ich will meiner perfekten Tochter diese tolle Welt unbedingt zeigen – ganz egal wie!

Auch an dieser Stelle nochmal ein ganz großes DANKE liebe Ulli!

Gastbeitrag von Michèle (deine.michele)

Mein Name ist Michèle. Ich bin 29 Jahre alt, bin Mama von zwei kleinen Kindern im Alter von 7 und 4 Jahren und bin an Multipler Sklerose erkrankt. Ich führe den Account deine.michele auf Instagram.

Als ich mit einer Sehnerventzündung ins Krankenhaus kam, habe ich meinen Kindern erzählt, dass ich eine neue Brille brauche und die Ärzte dafür ein paar Tests machen müssen. Ich wusste selbst nicht genau was mit mir los war und wollte den Kindern keine Angst machen. Ich hielt die Notlüge für angemessen. 

Ich lag insgesamt 2 Monate in der Uniklinik Düsseldorf. Zwei Kortison Stoßtherapien brachten aber keinen Erfolg. Ich bekam mehrere Thrombosen in der Wade, meine linke Körperhälfte wurde taub und mein Rumpf instabil. Ich entwickelte eine Spastik im linken Fuß und im Brustbereich. Ich konnte nicht mehr laufen. Schlussendlich bekam ich eine Plasmapherese. 

Der dafür benötigte Shaldon Katheter wird am Hals gelegt. Mit dem Shaldon-Katheter und dem Rollstuhl war die Brillen Geschichte natürlich unglaubwürdig. Ich musste den Kindern die Wahrheit sagen. 

Shaldon Katheter

Aber wie sagt man seinen Kindern, die noch so klein sind, dass man eine Krankheit hat, die nicht mehr verschwindet? Wie soll man Ihnen erklären, dass der Rollstuhl mit nach Hause kommt? Wie kann man es verständlich machen, dass ihre kleine perfekte Welt plötzlich Risse bekommt? 

Das war mit Abstand das schwierigste für mich. 

Ich habe Ihnen ehrlich und vorsichtig diese komplexe Krankheit erklärt. Ich habe Ihnen das Buch „Ben`s Mama ist besonders!“ vorgelesen. Und die Fragen, die den Beiden auf dem kleinen Herzen lagen, beantwortet. Dabei habe ich immer versucht das richtige Maß, zwischen der Wahrheit und zu vielen Informationen die Angst machen, zu finden. 

Aber die allerwichtigste Antwort für meine Kinder war, dass Mama nicht an der Krankheit sterben wird. 

Ich bin immer noch derselbe Mensch aber als Mama funktioniere ich jetzt anders. Die Welt dreht sich langsamer für uns und manchmal ruckelt es ganz schön, bevor irgendwas funktioniert. Unsere kleine, kunterbunte Welt hat jetzt schwarze Flecken. Es gibt plötzlich gute und schlechte Tage. Ich bin oft müde, erschöpft und habe Schmerzen. Ich muss die Kinder manchmal vertrösten. Unser Alltag lebt jetzt von Spontanität, weil planen unmöglich geworden ist. Meine Mutter und mein Mann wechseln sich ab, um den Kindern an schlechten Tagen ein normales Leben zu ermöglichen.

Früher war ich eine Vollblut-Mama, hab viele Dinge mit den Kindern auch mal allein unternommen. Ich habe das Heft ungerne aus der Hand gegeben. Und heute muss ich zugucken, wie andere Menschen meine Mama-Aufgaben übernehmen, wie sie mit den Kindern rutschen, klettern oder sie von der Schule und dem Kindergarten abholen. Und das fällt mir unglaublich schwer. 

Ich gebe jeden Tag mein Bestes und hoffe darauf, dass meine Kinder das später, rückblickend auch so sehen. 

Sie sind tapfer und nehmen die Situation so hin wie sie ist, wachsen über sich hinaus und sind noch empathischer geworden als sie es vorher schon waren. 

Ich kann entscheiden welche Emotionen und welche Wahrheiten ich mit meinen Kindern teile, wie viel ich Ihnen zeige und zumuten kann. Es gibt aber auch Dinge, die nicht in meiner Hand liegen. 

Die Blicke anderer Menschen kann ich Ihnen nicht ersparen, wenn wir mit dem Rollstuhl draußen sind. Unangebrachte Fragen, die in der Anwesenheit meiner Kinder gestellt werden, bekommen sie mit. Und es ist auch schon vorgekommen, dass sie mitbekommen haben, wie ich Krüppel genannt worden bin. Diese Dinge kann ich nicht verhindern.

Aber ich kann entscheiden, wie ich damit umgehe. Wenn meine Kinder sehen, dass ich in genau diesen Momenten stark bin und ich Ihnen erkläre was für traurige Menschen das sind, die sowas sagen, dann werden sie, so hoffe ich, diese Situationen nicht dramatisch empfinden.

Wenn man bei den Kleinsten anfängt über Behinderungen, Krankheiten und das Anders sein aufzuklären wäre die Welt ein Stück besser. Denn Menschen kommen nicht böse auf die Welt. Sie werden im Laufe der Zeit dazu gemacht. 

Bis jetzt ist jedes Kind, dem ich mit dem Rollstuhl begegnet bin, freundlich, interessiert und offen gewesen. Ganz im Gegensatz zu manchen Erwachsenen.

Danke auch dir für deine Offenheit und den schönen Beitrag liebe Michèle.

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